Vorwort von Willi Butollo: Gestalttherapie im Aufwind empirischer Forschung


Wissenschaft hat in erster Linie damit zu tun, Wissen zu schaffen. Darin kommt etwas Schöpferisches zum Ausdruck, ein kreativer Vorgang, der auch prozesshaft, im Suchen begriffen ist. Leider ist in der Psychotherapie Wissenschaft als restriktiv, kontrollierend, statisch oder gar als etwas Unlebendiges verrufen. Das ist so nicht einfach hinzunehmen. Im Grunde handelt es sich dabei ja genau um diejenigen Stadien, die unser individuelles Alltagsdenken ebenfalls zu durchschreiten hat:

Wahrnehmen mit Hilfe vorhandener bzw. gewachsener Wahrnehmungsstrukturen ("was ist"), Entwerfen von Vorhersagen aus den wahrgenommenen Phänomenen, und zwar unter Zuhilfenahme von erlernten oder erschlossenen Regeln (Theorien), die etwas über das Verhalten der Phänomene aussagen ("was wird sein"), spielerisches Manipulieren an den Ausgangsbedingungen ("experimentieren") und der Versuch, diese Abläufe zu erklären, vor allem eben die Diskrepanzen zu mittels bisheriger Regeln aufgebauten Erwartungen.

Das klingt ganz einleuchtend, warum dann dieser Widerstand gegen Psychotherapieforschung, wenn dieser Prozess der "Alltagswissenschaft" lediglich durch die Verwendung allgemein akzeptierter Forschungsmethoden gewissermaßen öffentlich, d.h. "objektiv" gemacht werden kann? Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einige nachvollziehbar, andere eher wie Rationalisierungen anmutend (siehe dazu auch Butollo 1992, Butollo 1993, Butollo & Maurer 1990, Butollo & Maragkos 1998, Butollo, Krüsmann & Hagl 1998).

Sicher ist, dass durch die Forschungsintention die Qualität der Beziehung zwischen Therapeut und Klient eine zusätzliche Dimension erhält. Wir wissen noch nicht, ob sie dadurch im Effekt notwendig schlechter wird - wenn die Videokamera mitläuft, ändert das vielleicht ja auch etwas an der Wachsamkeit der Therapeuten (und der Klienten). Sicher aber ist die Intimität der dialogischen Zweierbeziehung verändert und man kann verstehen, dass die Vertreter gerade solcher Therapieansätze, deren wesentliche Arbeitsbasis die therapeutische Beziehung ist, hier Vorbehalte anmelden: die volle Konzentration auf die Belange der Klienten muss nun mit der Aufmerksamkeit für die begleitende Forschung geteilt werden. So zumindest die Theorie. Die Praxis sieht manchmal anders aus - erstens gewöhnen sich Therapeut und Klient an die Beobachtung (Video, Tonband, Fragebogen), zweitens können sie als Hilfestellung auch für den Therapieprozess Sinn bekommen, drittens und vor allem, und jetzt will ich Euch, liebe Kollegen direkt anreden, seid ihr ohne Beobachtung denn wirklich ständig und zu hundert Prozent auf die Belange Eurer Klienten konzentriert? Ist es nicht eine Illusion über die Natur unserer Wahrnehmung und unseres Denkens, diese volle und ungeteilte Aufmerksamkeit ständig einzufordern?

Und weiter - seine Arbeit zu dokumentieren heißt ja auch, sie in Frage stellen zu lassen. Gilt nun das, was jedem Ausbildungskandidaten in der Supervision zugemutet wird, nicht auch für die ganze therapeutische Richtung? Muss nicht auch hier die vom (vielleicht) begnadeten Meister übernommene Methode in Frage gestellt werden können - auch wenn man für die Ausbildung viel bezahlt hat und sich mittlerweile mit "seiner" Schule identifiziert? Reicht die Überzeugung der beiden Beteiligten - Therapeut und Klient - wirklich aus, um die Therapiemethoden zu legitimieren? Wohl kaum, denn da müssten konsequenterweise bald auch Sekten in den Genus von Krankenkassengeldern kommen.
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Objektivierende, also empirische Therapieforschung rüttelt an den Grundfesten schuleninterner Überzeugungen und macht Angst. Die aber gilt es zu hinterfragen und gegebenenfalls zu überwinden anstatt sich hinter einer phänomenologischen Bastion zu verschanzen und den Kontakt zur Gesellschaft zu verweigern. Um Kontakt herzustellen, muss ich auch auf die Sprache des Partners eingehen und darf nicht erwarten, dass er meine lernt, wenn ich von ihm doch zuallererst etwas will.

Es ist verlockend, an dieser Stelle weiterzudenken, doch ich will den Rahmen dieses Vorwortes nicht sprengen. Immerhin ist es interessant zu beobachten, dass diejenigen - und vor kurzem waren es ja wirklich noch sehr wenige - die sich in den erfahrungsorientierten Therapien aufgemacht haben empirische Therapieforschung zu betreiben, einen Kampf an zwei Puristen-Fronten zu führen hatten, den mit den Vertretern der "reinen" Wissenschaft - wegen der für die Forschung an der lebenden Psyche notwendigen Kompromisse, und den mit den Leitfiguren in den Therapieschulen, wegen der im Forschungsprozess notwendigen Einschränkung therapeutischer Freiheit (Beliebigkeit?). Leslie Greenberg, ein hervorragender Pionier der Therapieforschung im Rahmen der Gestalttherapie, hat einmal in kleinem Kreise zum Ausdruck gebracht, dass er den Zorn der Gralshüter der Therapieschulen viel mehr fürchtet als den der "Methodenfritzen". Allzu oft musste er hören "...nice study, but sorry, the method you try to investigate, that's not Gestalt. Gestalttherapy is always more, never limited by methods or techniques...". Natürlich stimmt das, wir erforschen ja auch nicht "die Gestalttherapie", sondern eine konkrete Anzahl von konkreten Menschen mit einer beschreibbaren Arbeitsmethode. Aus dem Ausmaß der Repräsentativität der Klienten, der Therapeuten und ihrer Methoden für Gestalttherapie lassen sich dann - vorsichtige - Verallgemeinerungen durchführen. Voraussetzung ist zuerst einmal die Bereitschaft, die Aussagekraft einer Untersuchung spezifisch einzuengen. Liegt hier der Hase im Pfeffer verborgen?

Tatsache ist, dass die empirische Therapieforschung im Bereich der Gestalttherapie mittlerweile durch die rasch wachsende Zahl von Therapieforschern und die ständig mehr werdenden qualitativ hochstehenden Studien einen höchst beachtenswerten Stand erreicht hat. Er lässt sich durchaus mit anderen, in der Therapielandschaft als "wissenschaftlich anerkannt" gehandelten Therapieformen vergleichen. Aber auch die Ergebnisse sind erfreulich. Nicht nur generell stellt sich Gestalttherapie als effektive und ökonomische Therapieform dar, sie braucht auch den Vergleich mit anderen Richtungen keineswegs zu scheuen. Vor allem aber sind wichtige Fortschritte auf dem Gebiet der differentiellen Indikation zu verzeichnen - spezifische Spielformen von Gestalt führen bei spezifischen Problembereichen (Diagnosegruppen) zu positiver Veränderung.

Selbst die nicht nur von Greenberg schmerzlich erlebte anfängliche Ablehnung aus den eigenen "Reihen" ist mittlerweile etwas geschmolzen - manchmal sogar bis zu einem anerkennenden Schulterklopfen mutiert. Schließlich bringen die Forscher ja Pluspunkte für die Hierarchie der wissenschaftlichen Verfahren auf dem Weg zur gesellschaftlichen Anerkennung, sprich "krankenkassenfähigen" Psychotherapie.

Nun, das vorliegende Buch zeigt, in sorgfältigen, detaillierten und durchaus kritischen Analysen einer Fülle von Studien über Gestalttherapie, dass derartige Forschungsarbeiten - bei Anerkennung aller Schwächen - eine wesentliche und unschätzbare Erweiterung des Spektrums von Rückmeldungen darstellen, die wir für unsere therapeutische Arbeit dringend brauchen. Es zeigt auch, wie sehr die Gestalttherapie profitiert, wenn sich in ihren Reihen Kollegen tummeln, die neben ihren therapeutischen auch wissenschaftliche Interessen und Fähigkeiten haben, die sie zudem in gelungener Weise zu integrieren verstehen. Also auch hier: Polarität statt Dichotomie.

Wer ernsthaft interessiert ist, seine therapeutischen Überzeugungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren, wird von diesem beeindruckenden Bericht sehr viel profitieren, auch wenn es ab und an etwas schmerzt.

Und das gilt nicht nur für Gestalttherapeuten!

Willi Butollo


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